„Wege zu einer zeitgemäßen Prüfungskultur. Grundlagen und Praxisbeispiele“
Adriane Langela-Bickenbach, Ricarda Dreier, Philippe Wampfler, Christian Albrecht
Das Buch kommt zu rechten Zeit: Im Lichte der aktuellen pädagogischen und (fach)didaktischen Debatten rund um zeitgemäßes, individualisiertes und prozessorientiertes Lernen in einer Kultur der Digitalität sind entsprechend adaptierte Prüfungsformate ein Desiderat ersten Ranges.
Auf 185 Seiten bieten zahlreiche Vertreter:innen des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur einen umfassenden und gleichzeitig tiefgreifenden Einblick in die aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen im Bereich der schulischen Prüfungen.
Das Kompendium ist als eine Art Sammelband verschiedener kurzer Fachartikel zu unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten rund ums Thema angelegt.
Der inhaltliche rote Faden spannt sich ausgehend von einer allgemeinen Einführung ins Thema, zu Problemen der traditionellen Prüfungskultur (Teil I) über Argumente für eine neue Prüfungskultur (Teil II) bis hin zur konkreten Gestaltung einer ebensolchen (Teil III). Fundierte wissenschaftliche Analysen, kritische Erörterungen und konkrete Praxisbeispiele ergänzen sich jeweils zu einem Plädoyer für eine Abkehr von einer im Sinne zeitgemäßen Lernens überholten meritokratischen Ausrichtung der Prüfungskultur hin zu individuell entwicklungsorientierten, partizipativ, inklusiv und an Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts orientierte Kompetenzen (4K) angelegten Leistungs- und Prüfungsräumen als Lerngelegenheiten.
Grundsätzlich überzeugend, wenngleich auch für Einsteiger:innen ins Thema möglicherweise durchaus überfordernd empfunden, ist die Vielfalt der Blickwinkel: Nach einer allgemeinen Einführung ins Thema (Albrecht) werden zunächst die bestehende Prüfungskultur mit all ihren Problemen beleuchtet und dabei Allgemeinplätze und Schimären aufgedeckt: Die mangelnde Unterscheidung zwischen Lern- und Leistungsräumen sowie die fehlende Differenzierung und Verschränkung von (individuellen) Lernprozessen und Kompetenzüberprüfung, verbunden mit einem an Noten und Bewertungen orientiertem meritokratischen Denken und Handeln (Wampfler), die Fokussierung auf eine ausschließliche Produktbewertung, die in einem Gegenentwurf zum Assessment of learning mündet (Mecklenburg & Wampfler) sowie die psychischen Belastungen, die nachweislich daraus resultieren (Haverkamp & Schmitz) sind einige der zentralen Themen, die von den Autor:innen überzeugend und eindrücklich erörtert werden.
Das Kapitel “Argumente für eine neue Prüfungskultur” fasst zentrale Elemente einer ebensolchen zusammen und betont deren Wichtigkeit im Sinne eines entwicklungsorientierten Prüfens: So werden u.a. die Potenziale kollaborativer Formate wie Open-Book-Klausuren, Kompetenzraster oder Test-Talks (Nölte) diskutiert, ebenso wie Inklusion (Schulz), Demokratiepädagogik und Partizipation (Beutel), das dialogische Lernkonzept (Winter), Möglichkeiten zu formativem Feedback (Nölte) und die Nutzung von KI (Haverkamp & Wampfler).
Der letzte Sinnabschnitt, in dem es um die konkrete Gestaltung zeitgemäßer Prüfungen geht, überzeugt durch zahlreiche praxisorientierte Beiträge, die neben den neuen Formaten, beispielsweise in den Fächern Religion (Erarbeitung eines Readers - Winkelmann), Englisch (ePortfolios zur Projektarbeit - Lotz) oder Informatik (Spieleentwicklung und Feedback mittels digitaler Plattform - Tepasse), auch die Perspektive des Schulrechts (Schmitz) in den Fokus nimmt, ebenso wie die Kommunikation mi den Eltern (Mihaljovič & Wampfler) oder die Fortbildung im Kollegium (Wampfler).
Alle Artikel können grundsätzlich einzeln gelesen werden, ergeben aber im Zusammenspiel ein komplexes Bild des Desiderats nach alternativen Prüfungsformaten als Teil einer veränderten Lernkultur. Sie sind wissenschaftlich fundiert (mit anhängender Bibliografie), aber grundsätzlich verständlich geschrieben und immer wieder mit Praxisbeispielen aus dem schulischen Alltag gespickt, was zusätzlich zum Weiterlesen animiert. Zudem finden sich die durch eine graue Randfärbung gesondert hervorgehobenen Projektberichte, in denen konkrete erprobte Beispiele aus der schulischen Praxis anschaulich vorgestellt werden. Hier finden sich knappe Anleitungen, wie klassische Klassenarbeiten und Klausuren durch andere Formate ersetzt bzw. entsprechend verändert werden können, beispielsweise besonders eindrücklich in den Projektberichten “Klassenarbeit ohne Aufsicht” und “Klassenarbeit mit KI” (jeweils Haverkamp) oder “Deeper Learning” (Sliwka & Beigel).
Insgesamt ist “Wege zu einer zeitgemäßen Prüfungskultur” ein inspirierendes und informatives Werk, das sowohl für Bildungsexpert:innen als auch insbesondere für interessierte Lehrkräfte zu empfehlen ist. Es regt dazu an, über den Tellerrand der klassischen schulischen Strukturen hinwegzuschauen, sich für die Diskussion um zeitgemäßes Lernen (und Prüfen) fachlich fit zu machen und selbst neue Wege zu erkunden, wie die vielfältigen individuellen Potenziale der Schüler:innen durch sinnvolle Prüfungsformate erfasst werden können. Und das alles in einem handlichen Format, das in die Schultasche passt!
Eine klare Kauf- und Leseempfehlung!
Hinweis: Für die Rezension wurde ein kostenloses Exemplar bereit gestellt.