sprachdidaktik-sobel 

Ideen und Impulse zur Unterrichtsgestaltung

ChatGPT im Fremdsprachenunterricht

 

ChatGPT und andere Anwendungen künstlicher Intelligenz sind zur Zeit in aller Munde. Hausaufgaben und Klausurlösungen können auf einmal binnen Sekunden in - auf den ersten Blick - guter Qualität erzeugt werden. Im Netz ist der KI-generierte Text nicht rückverfolgbar, sodass es schwer fällt, den Schüler:innen ein Plagiat nachzuweisen.
Das erscheint für die Lernenden sehr bequem und zeitsparend: Nur die Aufgabe eintippen und schwupps entwirft ChatGPT eine mögliche Lösung, die dann ins Heft abgeschrieben und im Unterricht als Eigenes präsentiert wird - mit minimalem Aufwand und null kognitiver Eigenleistung zu einem ansehlichen Produkt - wie praktisch!
Der Lernertrag bei einem derartigen Vorgehen ist allerdings gering, bestenfalls wird beim Abschreiben des Produkts noch mitgedacht - wie gesagt, bestenfalls…
ChatGPT zu beschimpfen, zu verteufeln, zu verbieten oder Ähnliches macht keinen Sinn. Die Anwendung existiert und wird eher weiter entwickelt als abgeschafft oder verboten.
Doch wie kann ChatGPT gewinnbringend im FSU verwendet werden? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Und was muss ich als Lehrperson tun, damit meine Schüler:innen nicht Weltmeister:innen im Abschreiben, sondern im Denken werden?

Eines vorweg:
Um ChatGPT produktiv im Unterricht zu nutzen, sollten…

  • reine Wissensabfragen (Vokabeln, Lückentexte, Konjugationsmuster, etc.) in kollaborativen Settings statt in häuslicher Alleinarbeit abgefragt werden. Hier bieten sich z.B. gemeinsame Spiele mit Wettbewerbscharakter (z.B. Vokabelbingo, quizlet-Abfrage, kahoot, learningapps, etc.) oder das kooperative Stellen und Lösen von eigenen Aufgaben (z.B. Hangman, Wortgitter, o.Ä.) an.
  • nicht die Endprodukte, sondern deren Entstehungsprozesse in den Vordergrund rücken. Das bedeutet, dass bspw. Texte nicht alleine im stillen Kämmerlein produziert werden, sondern Schritt für Schritt und “öffentlich”, d.h. so, dass Klassenkamerad:innen und die Lehrkraft den Schreibprozess verfolgen können. Dies kann z.B. geschehen durch geteilte Dokumente, wiederkehrende gemeinsame (Peer)Feedbackrunden oder kollaborative Aufgabenstellungen.
  • ChatGPT-Anwendungen im Unterricht erprobt und evaluiert werden. Anwendungsbeispiele dafür s.u. 


8 Ideen zum Einsatz von ChatGPT im Fremdsprachenunterricht

  • KI-Texte erkennen: Die Schüler:innen produzieren in der Unterrichtsstunde innerhalb einer vorgegebenen (kurzen!) Zeit am eigenen (oder geteilten) PC kurze Texte zu einem Schreibimpuls, z.B. Mein schönstes Ferienerlebnis. Die Ergebnisse werden ausgedruckt und eingesammelt. Die Lehrkraft mischt unter die eingesammelten Texte zwei bis drei KI-generierte, die sie im Vorfeld erstellt und ausgedruckt hat. Die Schüler:innen lesen die Texte (vor) und finden heraus, wer was geschrieben hat und woran dies erkennbar ist (hier wird primär Inhaltliches genannt werden). Die KI-generierten Texte werden identifiziert und mit denen der Schüler:innen verglichen, unter Einbezug der Gesichtspunkte Syntax, Vokabular, grammatische Konstruktionen, Inhalt, Form, Länge, etc.
  • Mit ChatGPT diskutieren: Die Schüler:innen nehmen zu einem kontroversen Thema einen Standpunkt ein und diskutieren mit der KI. Anschließend können die Positionen rekapituliert und analysiert werden, z.B. wie folgt: Die Argumentation wird ausgedruckt und auseinander geschnitten. Mit den Argumentationsschnipseln kann nun “gespielt” werden: Andere Gruppen können die Argumentation wieder zusammen puzzlen, aus zwei Sets kann ein einziger Argumentationsgang erstellt werden, die Argumente können in einer Tabelle geclustert werden, etc.
  • Charakterisierungen oder Zusammenfassungen schreiben lassen: Die Schüler:innen lassen zu einer Lektüre oder einem Text Charakterisierungen der Protagonisten oder Zusammenfassungen einzelner Passagen per ChatGPT erstellen. Anschließend filtern sie aus diesen Texten die wesentlichen Informationen heraus und legen sie in einer grafischen Struktur (z.B. Mindmap, Flussdiagramm, VENN-Diagramm, etc.) an. Es bietet sich an, mehrere Diagrammtypen zur Verfügung zu stellen und die Schüler:innen selbst entscheiden zu lassen, welcher Typ sich für welchen Inhalt eignet. In einem nächsten Schritt betrachten die Lernenden die grafischen Strukturen kritisch und nehmen ggf. eigene Ergänzungen vor. Die Ergebnisse werden ausgetauscht und anhand der grafischen Strukturen sollen jeweils andere Schüler;Innen die Inhalte zusammenfassen. Der KI-Text kann als Hilfestellung genutzt werden, um von der Stichwortstruktur wieder zu ganzen Sätzen zu kommen.
  • Lernposter mit ChatGPT erstellen: Nachdem in der Klasse die wichtigsten Stichwörter zu einem Themenmodul (z.B. vor einer Klassenarbeit, vor einer Abschlussprüfung) zusammengetragen und in einer losen Liste aufgeschrieben werden, arrangieren die Schüler:innen die Begriffe in Form einer Conceptmap, wobei die Überschneidungen und Gegensätze zwischen den Themen ebenso deutlich werden sollen wie die grundlegenden Inhalte zu den Stichpunkten. Dazu können die Schüler:innen mit ChatGPT recherchieren und sich Dinge zusammenfassen, erklären oder mit Beispielen unterlegen lassen. Wichtig ist, dass die auf dem Lernposter übernommenen Inhalte an die Postergröße (z.B.) angepasst werden müssen, d.h. es muss genau überlegt werden, was wo in welcher Ausführlichkeit platziert wird, damit ein optisch ansprechendes (und natürlich inhaltlich korrektes) Poster entsteht.
  • Rollenkarten vorbereiten: In Vorbereitung eines Rollenspiels entwerfen die Schüler:innen zunächst mögliche Charaktere mit entsprechenden Eigenschaften (z.B. zum Thema Umweltschutz einen berufstätigen Mittvierziger, der partout keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen möchte, um zu seinem Büro zu kommen, oder eine junge Mutter, die ihr Baby ausschließlich ökologisch gesund erziehen möchte). Mit diesen Informationen soll ChatGPT dann eine Liste von Argumenten erstellen, die die betreffende Person nutzen würde, um ihre Einstellung zu untermauern. Ebenso können Gegenargumente von ChatGPT erdacht werden. Anschließend gibt die Lehrkraft eine Situation vor, die als Diskussionsgrundlage dient, bspw. eine Sprechstunde beim Bürgermeister, um zu diskutieren, wie die zur Verfügung stehende eine Million für die Stadt sinnvoll anzulegen ist.
  • Korrekturen durch Lehrkraft vs. ChatGPT: Die Schüler:innen erstellen einen Text zu einem bestimmten Thema. Ggf. dürfen sie absichtlich eine bestimmte Anzahl an Fehlern einbauen. Die Schüler:innen geben den (fehlerhaften) Text bei ChatGPT ein, um eine sprachliche Korrektur zu erhalten. Danach geht die Lehrkraft den gleichen Text live vor der Klasse durch und korrigiert diesen. Beide Ergebnisse werden miteinander verglichen und die Fehler besprochen.
  • Kreatives Schreiben: Die Schüler:innen kreieren gemeinsam mit ChatGPT einen Text, indem sie die KI bitten, jeweils einen weiteren Satz/ Abschnitt zu schreiben. Abwechselnd tragen dann beide zu einem Gesamtwerk bei, wobei die Schüler:innen - im Gegensatz zum Schreibgespräch mit Mitschüler:innen, mit denen sie im Klassenraum auf einer Metaebene kommunizieren können - das Überraschungsmoment der KI nicht einschätzen können und darauf entsprechend reagieren können.
  • Fehlersuche: Die Schüler:innen denken sich ein Thema aus und bitten ChatGPT (natürlich in der Fremdsprache) einen kurzen Text dazu zu erstellen. In einer zweiten Version soll ChatGPT drei inhaltliche und drei sprachliche Fehler einbauen. Die Schüler:innen müssen diese selbst suchen oder es wird ein Quiz mit den ausgedruckten Texten in der Klasse gespielt (“Wer findet am schnellsten die veränderten Stellen im Text?” / “Wer kann alle sprachlichen Fehler verbessern (und erklären)?”)
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